Die Bedeutung der Persönliche Notfallvorsorge für KRITIS-Personal

Das 20. Jahrhundert war geprägt von zwei Weltkriegen und der Zeit des Kalten Krieges. Die mögliche Eskalation des Ost-West-Konfliktes wurde von staatlicher Seite thematisiert und die Bevölkerung versuchte man darauf vorzubereiten. In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) betrieb man Zivilverteidigung und in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) übernahm der Bundesverband für Zivilschutz diese Aufgabe. Nach dem Mauerfall 1989 und dem damit verbundenen Beitritt der DDR zur BRD gab es die Zivilverteidigung nicht mehr und am 1. Januar 1997 wurde der Bundesverband für Zivilschutz aufgelöst. Die geopolitische Lage entspannte sich zusehends, sodass die Vorbereitung der Bevölkerung auf staatsbedrohende Ereignisse an Bedeutung verlor.

Die Terroranschläge am 11.September 2001 in New York und die damit verbundene Erklärung des NATO-Bündnisfalls gemäß Artikel 5 des Nordatlantikvertrages machten deutlich, dass staatsbedrohende Ereignisse auch im 21. Jahrhundert stattfinden und eine Vorbereitung der Bevölkerung auf mögliche Auswirkungen Priorität haben sollte. Die Terrorschläge zeigten, dass nicht nur von anderen Staaten eine Bedrohung ausgehen kann, sondern auch von international agierenden nicht-staatlichen Terrororganisationen, die gezielt zivile Ziele wählen.

Hinzu kamen Ereignisse wie die Elbehochwasser 2002 und 2013 sowie die Hitzewelle 2003, die als Naturgefahren ebenso einen beträchtlichen Schaden an Leben und Sachwerten verursachten. Die Selbsthilfefähigkeit in solchen möglichen Zivilschutz- und Katstrophenlagen und eine entsprechende individuelle Vorbereitung auf diese Notlagen rückten wieder in den Fokus des Bevölkerungsschutzes. Um sich diesen Herausforderungen anzunehmen und das Thema Selbsthilfefähigkeit voranzubringen, wurde in Deutschland am 1. Mai 2004 das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) gegründet.

Keine Kritische Infrastruktur ohne Persönliche Notfallvorsorge
An Kritische Infrastrukturen werden hinsichtlich der personellen, materiellen und organisationalen Durchhaltefähigkeit – gerade in Krisensituationen – hohe Anforderungen gestellt. Hinzu kommt die mitunter stetig steigende Erwartungshaltung der Bevölkerung, in Krisensituationen Hilfe und Beistand von den verschiedenen Kritischen Infrastrukturen zu erhalten. Allen Verantwortlichen sollte bewusst sein, dass aus nicht erfüllten berechtigten oder auch unberechtigten Erwartungshaltungen eine eigene Krise erwachsen kann, spätestens bei einer entsprechenden medialen Aufmerksamkeit bzw. Berichterstattung.


Entscheidend ist an dieser Stelle weniger die Ursache, sondern vielmehr die Konsequenz für die Persönliche Notfallvorsorge von KRITIS-Personal. Ein wesentlicher Faktor für die Durchhaltefähigkeit der eigenen Organisation ist die Ressource Personal. Einsatzkräfte bzw. Mitarbeitende stehen aber nur dann für die Krisenbewältigung zur Verfügung, wenn sie persönlich vorgesorgt haben und ihre eigenen Angehörigen und Bekannten versorgt wissen.

Merke: Das KRITIS-Personal sollte in seiner Gesamtheit als ein wesentlicher Teil der Kritischen Infrastruktur betrachtet werden. Die Förderung der Persönlichen Notfallvorsorge ist aus diesem Grund im eigenen Interesse einer jeden Kritischen Infrastruktur.

Erste Schritte zur Förderung der Persönlichen Notfallvorsorge für KRITIS-Personal

Der „Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen“, herausgegeben vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) gibt entsprechende Hinweise. Es empfiehlt sich, allen Einsatzkräften und Mitarbeitenden einen solchen Ratgeber beispielsweise mit dem Arbeitsvertrag und einmal jährlich mit der Lohnabrechnung zukommen zu lassen.

Darüber hinaus ist die Förderung der Persönlichen Notfallvorsorge ein auf Dauer angelegtes Vorhaben und nicht als ein Projekt zu betrachten, welches ein definiertes Ende aufweist.

Die wesentlichen Punkte einer adäquaten Vorbereitung sind …

·       das Anlegen einer Notbevorratung, 

·       das Zusammenstellen eines Notfallgepäcks samt Schlafsack 

·       eine sichere Dokumentenaufbewahrung sowie

·       der häusliche Brandschutz. 


Der Einstieg in die Förderung der Persönlichen Notfallvorsorge sollte in Form einer Kurzschulung in Form einer Präsenzveranstaltung oder eines Onlineformats erfolgen. Die Dauer von ca. 90 Minuten inklusive Diskussion sollte nicht überschritten werden.

Die Agenda für eine solche Schulung könnte folgendermaßen aussehen:

1.     Katastrophen und Krisen in Deutschland

2.     Aufgaben von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben

3.     Warnung der Bevölkerung

4.     Persönliche Notfallvorsorge

5.     Fazit


Die Schulung sollte beginnen mit der zentralen Botschaft, dass Deutschland regelmäßig Krisen und Katastrophen ausgesetzt ist. Die Aufmerksamkeit für solche Ereignisse ist in der  Regel nur von kurzer Dauer, sodass diese schnell wieder in Vergessenheit geraten. Den Teilnehmenden soll vermittelt werden, dass jederzeit mit einer Krise oder einer Katastrophe zu rechnen ist. Hier eigenen sich Beispiele aus der unmittelbaren Umgebung wie z.B. das Münsterländer Schneechaos (2005) für eine Schulung im Raum Münster und Umgebung oder die Ostsee-Sturmflut (2023) für Schulungen entlang der Ostseeküste.

Im Nachgang sollen die Teilnehmenden die gesamtstaatliche Sicherarchitektur kennenlernen sowie die 6 Säulen des Bevölkerungsschutzes. An diesem Punkt ist es entscheidend den Teilnehmenden das freie Zeitintervall zwischen dem Eintritt eines Ereignisses und des Eintreffens der Akteure der Sicherheitsarchitektur zu erläutern. Dieses Zeitintervall, in der Selbsthilfe notwendig wird, kann Minuten über Stunden bis hin zu mehreren Tagen andauern. Genau für dieses freie Zeitintervall wird persönliche Notfallvorsorge betrieben.


Im dritten Teil der Schulung wird den Teilnehmenden erklärt auf welche Art die Bevölkerung gewarnt wird. Ein besonderer Fokus sollte auf die Vermittlung der Notwendigkeit der Warn-App NINA auf dem eigenen Smartphone haben sowie die Anschaffung eines stromunabhängigen Kurbelradios. Die Beschaffung von Informationen beispielsweise behördliche Anweisungen wie die Aufforderungen zu Evakuierungen ist nicht nur für Mitarbeitende von Kritischen Infrastrukturen äußerst wichtig.


Im Anschluss werden konkrete Maßnahmen zur Förderung der Persönlichen Notfallvorsorge besprochen. Zu diesen Maßnahmen sollte das Anlegen einer Notbevorratung mit Lebensmitteln, Getränken und ggf. Tiernahrung, das Zusammenstellen eines Notfallgepäcks inklusive eines Schlafsackes, die Nutzung einer Dokumentenbox sowie Hilfsmittel für den häuslichen Brandschutz (Löschdecke, Löschspray und Rauchmelder) gehören.

Förderung der Persönlichen Notfallvorsorge durch wissenschaftliche Erkenntnisse

Das Vorhaben, die eigenen Einsatzkräfte bzw. Mitarbeitenden zu motivieren, persönlich vorzusorgen, damit sie für die Krisenbewältigung überhaupt zur Verfügung stehen, sollte sich am Homöostase-Modell orientieren. Das Homöostase-Modell beschreibt ein Idealbild eines notfallpädagogischen Bildungsangebotes.

In diesem Idealzustand halten sich die Informationen zu einer bestimmten Gefahr oder einem Risiko mit den Informationen, die zum richtigen Handeln animieren sollen bzw. die eine entsprechende Schutzwirkung vermitteln, die Waage. Bei einem Ungleichgewicht zugunsten der Konfrontation mit einer Gefahr oder einem Risiko verschiebt sich das notfallpädagogische Handeln in eine unangemessene Konfrontation mit einer unmittelbaren Nähe zu Gefahr oder dem Risiko. Die Folgen können Angst und ein zunehmendes Gefühl von Bedrohung, Überaktivität sowie Unsicherheit im Handeln sein. Bei einem Ungleichgewicht zugunsten der Protektion verschiebt sich das notfallpädagogische Handeln in eine unangemessene Protektion mit einer zunehmenden Distanzierung zu der Gefahr oder dem Risiko. Die Folgen sind Sorglosigkeit, Passivität und ein starkes Sicherheitsgefühl.

Bezogen auf die Persönliche Notfallvorsorge ist demzufolge darauf zu achten, dass Protektion und Konfrontation gleichermaßen stark gegenüber den Einsatzkräften bzw. Mitarbeitenden adressiert werden. Im Rahmen von notfallpädagogischen Angeboten zur Förderung der Persönlichen Notfallvorsorge ist dafür zu sorgen, dass das Hilfeleistungspotential der staatlichen Gefahrenabwehr nicht für sich alleine präsentiert wird, sondern auch die Grenzen der staatlichen Hilfe aufgezeigt werden und die Notwendigkeit der eigenständigen Notfallvorsorge deutlich wird. In diesem Zusammenhang sollte den Einsatzkräften bzw. Mitarbeitenden unmittelbar dargestellt werden, auf welchen Wegen sie für sich und ihre Familien, Freunde oder Bekannten Vorsorge treffen können.

Homöostasemodell nach H. Karutz


Modellvorstellung von notfallpädagogischem Handeln als Vermittlung zwischen "Protektion" und "Konfrontation" (H. Karutz (Hrsg.) 2011. Notfallpädagogik. Konzepte und Ideen) 

Praxisnahe Umsetzung anhand eines Beispiels

Das KRITIS-Personal bekommt mit der Post vom Arbeitgeber die BBK-Broschüre „Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen“ zugesandt. Der Broschüre liegt ein Informationsblatt bei, in dem folgendes Szenario beschrieben wird:

Stellen Sie sich vor, Sie müssten jetzt ihre Wohnung verlassen, weil die Einsatzkräfte der Feuerwehr den Auftrag bekommen haben, ihr Haus bzw. ihre Wohnung zu räumen. Es droht eine Gasexplosion im Nachbarhaus bzw. in der Nachbarwohnung. Überlegen Sie max. 5 Minuten, welche Unterlagen, Gegenstände oder sonstiges Gerät Sie mitnehmen würden, und stellen sie alles an der Haustür bzw. der Wohnungstür zusammen.

Nachdem die 5 Minuten vorbei sind, lesen Sie sich in der Broschüre das Kapitel zum Notfallrucksack bzw. zum Notgepäck gemeinsam durch und kontrollieren Sie, ob Sie an alles gedacht und es in den fünf Minuten auch geschafft haben, alles zusammenzutragen.

Erstellen Sie gemeinsam eine Liste mit Vorschlägen zur Verbesserung der eigenen Vorbereitung und ggf. notwendig gewordene Anschaffungen.

Kernbotschaften

Eine Kritische Infrastruktur ist nur solange leistungsfähig, wie das eigene Personal zur Verfügung steht.

Entscheidend ist, dass eine Kritische Infrastruktur aktiv die Förderung der Persönlichen Notfallvorsorge in den Fokus nimmt und erste Schritte zur Umsetzung geht.

Die Nutzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen führt zu einer effizienten und effektiven Vorbereitung auf Notfälle und einer Stärkung der Selbsthilfefähigkeit des KRITIS-Personals.

Quellen:

Geier, W (2017): Strukturen, Zuständigkeiten, Aufgaben und Akteure. In: Bevölkerungsschutz. Notfallvorsorge und Krisenmanagement in Theorie und Praxis. Heidelberg. S. 94-100.

Technisches Hilfswerk (Hrsg.) (1977a): Zivilschutz in der Bundesrepublik Deutschland. In: THW-Fibel. Bonn-Bad Godesberg. 1977. S. 1-4.

Technisches Hilfswerk (Hrsg.) (1977b): Zivilschutz außerhalb der Bundesrepublik Deutschland. In: THW-Fibel. Bonn-Bad Godesberg. 1977. S. 1-2.

Technisches Hilfswerk (Hrsg.) (1977c): Bundesverband für den Zivilschutz. In: THW-Fibel. Bonn-Bad Godesberg. 1977. S. 1-3.

Technisches Hilfswerk (Hrsg.) (1977d): Das Bundesamt für Zivilschutz. In: THW-Fibel. Bonn-Bad Godesberg. 1977. S. 1-10.

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (Hrsg.) (2019): Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen – Katastrophenalarm. 7. Auflage. Bonn

Karutz, H (Hrsg.) (2011). Notfallpädagogik. Konzepte und Ideen. Edewecht. S.42-43.

Abbildungen:

Karutz, H (Hrsg.) (2011). Notfallpädagogik. Konzepte und Ideen. Edewecht. S.42-43.